Bürgerschaftswahlprogramm 2019

Das vollständige Wahlprogramm findet ihr hier zum Download

oder auf den Punkt gebracht: das Kurzwahlprogramm

Vorwort: Wem gehört die Stadt?

In Bremen und Bremerhaven treten die sozialen Gegensätze in besonderer Weise hervor. Hier leben viele Millionäre, während ein Drittel aller Kinder in Armut leben müssen. Hier werden Autos, Flugzeuge und Raumfahrttechnologie produziert, während Schulgebäude verfallen und es in den Schulen und Krankenhäusern an Personal fehlt. Diese Gegensätze sind Ergebnis einer Politik, die Reiche und Unternehmen von Steuern entlastet und dafür öffentliche Ausgaben gekürzt und öffentliche Dienste privatisiert hat. Diese Politik führt dazu, dass immer größere Teile unserer Städte immer weniger Menschen gehören: Ehemals gemeinnützig verwaltete Wohnungen gehören börsennotierten Immobilienkonzernen. Wer arm ist, wird von Polizei und Ordnungsdienst aus dem öffentlichen Raum oder von steigenden Mieten aus seinem Stadtteil verdrängt und selbst Schulen und Kitas werden von profitorientierten Investoren gebaut.

Wir wollen das ändern – wir wollen Städte, die allen gehören. Und wir sagen, wie das geht.

In vielen Bereichen ist Bremen inzwischen das Schlusslicht unter allen Bundesländern: Bei Arbeitslosigkeit und Armut. Bei der Mietbelastung, das heißt dem Anteil des Einkommens, den Familien für Wohnen ausgeben müssen. Beim Vergleich der Schulleistungen. Bei den Ausgaben für die Hochschulen. Beim Anteil der Leiharbeit. Bei der Erwerbstätigkeit von Alleinerziehenden. Ohne eine aktive Politik für soziale Gerechtigkeit und für Investitionen in die Zukunft wird sich das nicht ändern lassen.

Die Bürgerschaftswahl 2019 ist eine besondere Wahl. Das Land Bremen steht sehr wahrscheinlich vor einem Regierungswechsel. 12 Jahre rot-grüne Regierung gehen zu Ende. Die nächste Landesregierung wird von einem neuen Parteienbündnis getragen werden.

Nach 12 Jahren hartem Sparkurs stehen ab 2020 wieder etwas mehr Mittel zur Verfügung. Auch wenn diese Mittel nicht ausreichen werden, um alle dringenden Bedarfe zu decken, ist die Frage: In was werden sie investiert? Wem sollen sie zu gute kommen? Das wird nicht nur durch Regierungskonstellationen entschieden, sondern auch durch politischen Druck von unten. Wir wollen dabei helfen, diesen zu formieren und ihm eine Stimme zu geben. In was werden sie investiert? Wem sollen sie zugutekommen?

In den vergangenen 12 Jahren sind die öffentlichen Ausgaben soweit eingefroren worden, dass die Lücke zwischen Ausgaben und Einnahmen des Landes geschlossen wurde. Aber den Preis dafür haben nicht alle in gleicher Weise bezahlt. Bezahlt haben Mieter*innen, denn es wurde nicht in sozialen Wohnungsbau investiert. Bezahlt haben Geringverdiener*innen, denn der Landesmindestlohn wurde aufgegeben, und die öffentliche Hand selbst hat die Leiharbeit hochgetrieben. Bezahlt haben Beamt*innen und Angestellte im öffentlichen Dienst, denn ihre Gehaltsentwicklung hat weder mit anderen Bundesländern, noch mit der Privatwirtschaft Schritt gehalten. Stattdessen hat der scharfe Personalabbau ihre Arbeitsbelastung erhöht, und zusätzlich die Unzufriedenheit der Bürger*innen mit den Abläufen in der Verwaltung. Familien, die keinen Kita-Platz bekommen haben, und Schüler*innen, die in einem besser ausgestatteten Bildungssystem nachhaltigere Lernerfolge, bessere Abschlüsse und Zeugnisse geschafft hätten: Sie alle haben die Belastung getragen.

Für die Zukunft ist deshalb für uns klar: Diejenigen, die die Hauptlast der jahrelangen Sparpolitik getragen haben, sind jetzt als erste dran, wenn es um bessere öffentliche Leistungen geht. Damit das gelingt, müssen wir aus dem wahrscheinlichen Regierungswechsel im Land Bremen einen Politikwechsel machen: Hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit, also nach links.

Unser Politikwechsel geht darüber hinaus, die kommenden Haushaltsspielräume in den Dienst der sozialen Gerechtigkeit zu stellen. Er wirft die Frage auf: Wem gehört die Stadt?

Wir wollen, dass diese Frage in Zukunft anders beantwortet wird als bisher. Wir wollen die Praxis beenden, dass die Stadtentwicklung von privaten Investoren gestaltet wird und die Stadt sich darauf beschränkt, ihnen Flächen zu verkaufen und Prämien dafür zu bezahlen, dass ein paar Wohnungen für ein paar Jahre nicht ganz so teuer sind. Wir wollen, dass Wohnungspolitik sich darauf konzentriert, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.

Wir wollen die öffentliche Hand und öffentliche Unternehmen stärken: Die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften GEWOBA und Stäwog und die öffentlichen Verkehrsbetriebe. Die Entsorgungsbetriebe wollen wir wieder zu komplett öffentlichen Unternehmen machen.

Wir stellen uns klar allen entgegen, die den Sparkurs im öffentlichen Bereich fortsetzen und stattdessen Private mit allem beauftragen wollen: Mit dem Bau von Kitas und Schulen, die dann teuer angemietet werden müssen. Mit dem Bau von Wohnungen und der Gestaltung der Innenstadt, so dass die Allgemeinheit keine Mitsprache hat. Wir werden nicht zulassen dass öffentliche Unternehmen wie private, profitorientierte Konzerne arbeiten und so die GEWOBA, die kommunalen Kliniken, die Bremer Lagerhaus (BLG), der öffentlichen Kontrolle und Einflussnahme entzogen werden.

Denn auf diese Weise wird die Stadt privatisiert. Sie gehört flächendeckend nicht mehr denen die in der Stadt leben, sondern denen die sie wie ein auf Profit ausgerichtetes Unternehmen betreiben. Vieles davon ist schon heute Realität. Wir wollen weg von dieser Entwicklung.

Wir wollen, dass das Bundesland Bremen die Spielregeln für Arbeit gestaltet. Mit einem Wiedereinstieg in den Landesmindestlohn, mit der Stärkung von Tarifbindung und Guter Arbeit. Mit festen Vorgaben für wie viele Menschen eine Pflegekraft, eine Mitarbeiter*in im Jugendamt, eine Erzieher*in gleichzeitig höchstens zuständig sein darf. Mit einer besseren staatlichen Kontrolle von Lohn- und Arbeitsbedingungen in den Bereichen, wo man weiß, dass sie dort gerne mal unterlaufen werden.

Wenn die Stadt allen gehören soll, müssen wir ein gutes Leben in allen Stadtteilen ermöglichen und dazu alle Politikbereiche gegen die soziale Spaltung in Stellung bringen. Wir brauchen zusätzliche Ressourcen im Kitaausbau nicht nur in Stadtteilen, in denen viele Eltern berufstätig sind und Betreuungsplätze im Zweifelsfall einklagen würden, sondern gerade da, wo viele Kinder von frühkindlicher Förderung besonders profitieren. Wir brauchen zusätzliche Ressourcen für Schulen in armen Stadtteilen. Deshalb wollen wir für den Schulbau eine öffentliche Gesellschaft beauftragen, weil nur so die nötigen Kredite aufgenommen werden können. Wir müssen dafür sorgen, dass es nicht nur in Oberneuland, sondern auch in Oslebshausen genug Kinder- Allgemein- und Fachärzt*innen gibt, damit Gesundheitsversorgung nicht nur formal für alle existiert, sondern real für jede gut zugänglich ist. Wir wollen Hochschulen, die für alle in Bremerhaven und Bremen funktionieren. Dazu gehört, dass wir die Hochschule endlich so ausstatten, dass Studiengänge nicht geschlossen, sondern ausgebaut werden und sie auch für junge Menschen offenstehen, deren Eltern nicht viel Geld haben.

Die kapitalistische Wachstumslogik zerstört die Lebensgrundlagen auf diesem Planeten. Umweltpolitik ist für DIE LINKE deshalb ein zentraler Bestandteil der notwendigen sozial-ökologischen Wende unserer Gesellschaft. Wir verstehen es als unsere Aufgabe vor Ort für eine Energiewende, den Schutz von natürlichen Ressourcen, eine ökologische Verkehrswende und eine auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Wirtschaft einzutreten. Um der Klimakrise zu begegnen müssen global und konkret vor Ort deutlich stärkere Maßnahmen ergriffen werden, als es der rot-grüne Senat in den vergangenen 12 Jahren getan hat.

Die ganze Stadt für alle, das bedeutet auch Mobilität für alle: sozial, alters- und kindergerecht, barrierefrei, ökologisch, autoarm, mit kostenlosem ÖPNV und einer sicheren und komfortablen, flächendeckenden Fahrradinfrastruktur. Noch immer wird die Verkehrsplanung in erster Linie an Autos ausgerichtet, während die schwächeren Verkehrsteilnehmer*innen an den Rand von Wegen und Straßen gedrängt werden. Gerade für junge und ältere Menschen ist diese Situation gefährlich. Wege und Straßen müssen möglichst barrierefrei und sicher sein, vor allem für Menschen mit eingeschränkter Beweglichkeit. Wir wollen die Verteilung des Straßenraums neu verhandeln und Platz zugunsten von Fußgängern und Radfahrerinnen umverteilen sowie Spielraum für Kinder und attraktive Plätze für alle schaffen.

Der öffentliche Raum muss für alle da sein – diese Überzeugung stellen wir einer Verdrängungspolitik entgegen, wie sie aktuell rund um den Bahnhof praktiziert wird, um den City-Gate Investor*innen ein “sauberes” Umfeld zu präsentieren. In einer lebenswerten Stadt muss der öffentliche Raum für alle ein angenehmer Ort zum Aufenthalt sein und darf nicht nur auf Konsum und Transport ausgerichtet sein. Wir brauchen Raum für Kultur, Freizeit und Feiern. Bremen soll keine Schlafstadt werden, sondern braucht Orte und Möglichkeiten für Kneipen, Clubs, Freiluftparties und Festivals.

Bremen und Bremerhaven sind Städte des Wachstums, der Offenheit, der Vielfalt und der internationalen Verbundenheit. Wir wollen, dass Zuwanderung als Chance und als Selbstverständlichkeit betrachtet wird. Für einen Hafen- und Exportstandort wäre die Idee, sich global abschotten zu wollen, absurd. Schon weil viele Gründe, aus denen Menschen fliehen oder durch Migration nach besseren Perspektiven suchen, auch mit der Geschichte und Gegenwart von Kolonialismus, ungleicher Wirtschaftsordnung, Waffenexporten und den Folgen einer ökologisch nicht haltbaren Wirtschaftsweise zu tun haben – alles Faktoren, mit denen auch Bremen und Bremerhaven in problematischer Weise verbunden waren und sind.

Die verstärkte Zuwanderung nach 2015 hat deutlich gemacht, wie viele Wohnungen und Ausbildungsplätze schon vorher fehlten, wie schlecht die Angebote zur Integration in den Arbeitsmarkt schon vorher waren. Das müssen wir ändern – im Interesse aller.

Wir erleben eine Zeit, in der in Frage gestellt wird, ob Geflüchtete aus Seenot gerettet werden sollen, in der Rassismus vom nicht eingestandenen Vorurteil zur offenen politischen Haltung geworden ist. Fortschritte in der Gleichstellung von Frauen werden in der öffentlichen Debatte zurückgedrängt, und reaktionäre Kräfte greifen immer lauter die Berechtigung von Menschen an, ihre Sexualität und Identität jenseits der Vorstellungen der 50er Jahre zu leben. Rechte Strömungen, die mal verdeckt und mal ganz offen Faschismus und NS-Traditionen aufgreifen, sind in den letzten Jahren zum relevanten Teil unserer politischen Landschaft geworden. In diesen Zeiten wollen wir gemeinsam Farbe bekennen und klar machen: Bremerhaven und Bremen sind kein Pflaster für rechte Hetze. Auf Hass, Angst und Provinzialität kann man keine Zukunft für Bremen und Bremerhaven bauen. Im Gegenteil: Wir wollen, dass Bremen und Bremerhaven sich als solidarische Städte begreifen, die Menschen in Not aufnehmen und allen hier lebenden Menschen ein Leben in Würde und Sicherheit organisieren.

Antifaschismus ist elementarer Bestandteil und Ausdruck eines demokratischen Grundverständnisses. Dazu gehört auch, faschistischen und rechtsextremen Kräften auf der Straße, in den Betrieben, in den Parlamenten wie überall sonst, keinen Raum zu überlassen. Es bedeutet, sich der eigenen Geschichte zu stellen und Konsequenzen für heute zu ziehen. Dazu gehört, faschistischen Kräften, mit denen die AfD offen zusammenarbeitet und die in ihr vertreten sind, keinen Meter Raum zuzugestehen. Wir sind entsetzt darüber, dass der antifaschistische Konsens – Verurteilung des Nazismus; Erinnerungskultur; Zusammenarbeit der demokratischen Kräfte; Ablehnung von Antisemitismus und Rassismus – heute offen in Frage gestellt wird. Demokratie, Freiheitsrechte und soziale Rechte müssen verteidigt werden.

Die Entwicklung einer Stadt ist das Werk tausender Köpfe, Hände und Herzen. Wir wollen dafür sorgen, dass alle sich an diesem Werk beteiligen können und die Entwicklung nicht im Sinne der wenigen, die viel besitzen, sondern der vielen, die die Stadt mit Leben füllen, verläuft. Dafür wollen wir gesellschaftliche Debatten verschieben, andere Entscheidungen in der Bürgerschaft, der Stadtverordnetenversammlung und den Beiräten treffen und die Politik des Senats und die Praxis der Verwaltung und der städtischen Gesellschaften verändern. Wir geben uns nicht mit der Verwaltung der Mängel zufrieden. Wir haben eine grundlegend andere Vorstellung von Stadtgesellschaft und sozialem Miteinander. Für einen wirklichen Politikwechsel, in dem eine andere Welt Gestalt annehmen soll, wollen wir Mehrheiten in der Gesellschaft schaffen: In den Stadtteilen, Arbeitsplätzen, Gewerkschaften, Vereinen, Initiativen, auf Parties, im und außerhalb vom Parlament. Wir wissen, dass es auf diesem Weg erhebliche Widerstände geben wird, aber wir rechnen auch auf viele, die uns darin unterstützen, kritisch begleiten und gegen diese Widerstände antreiben werden. Wir wollen diesen Weg gemeinsam gehen, damit die Stadt uns allen gehört.

 

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